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Predigt zu meiner Einführung als Pfarrer der Ev. Kirchengemeinde Zu Staaken am 04. September 2022

Gemeinsam auf der Suche nach Gott


Apostelgeschichte Kapitel 9 (in Auszügen)

Saulus aber schnaubte noch mit Drohen und Morden gegen die Jünger des Herrn und ging zum Hohenpriester und bat ihn um Briefe nach Damaskus an die Synagogen, dass er Anhänger dieses Weges, Männer und Frauen, wenn er sie fände, gefesselt nach Jerusalem führe. Als er aber auf dem Wege war und in die Nähe von Damaskus kam, umleuchtete ihn plötzlich ein Licht vom Himmel; und er fiel auf die Erde und hörte eine Stimme, die sprach zu ihm: Saul, Saul, was verfolgst du mich? Er aber sprach: Herr, wer bist du? Der sprach: Ich bin Jesus, den du verfolgst. Steh auf und geh in die Stadt; da wird man dir sagen, was du tun sollst... Saulus aber richtete sich auf von der Erde; und als er seine Augen aufschlug, sah er nichts. Sie nahmen ihn aber bei der Hand und führten ihn nach Damaskus; und er konnte drei Tage nicht sehen und aß nicht und trank nicht. Es war aber ein Jünger in Damaskus mit Namen Hananias; dem erschien der Herr und sprach: ... Steh auf und geh in die Straße, die die Gerade heißt, und frage in dem Haus des Judas nach einem Mann mit Namen Saulus von Tarsus... Geh nur hin; denn dieser ist mein auserwähltes Werkzeug, dass er meinen Namen trage vor Heiden und vor Könige und vor das Volk Israel. Ich will ihm zeigen, wie viel er leiden muss um meines Namens willen. Und Hananias ging hin und kam in das Haus und legte die Hände auf ihn und sprach: Lieber Bruder Saul, der Herr hat mich gesandt, Jesus, der dir auf dem Wege hierher erschienen ist, dass du wieder sehend und mit dem Heiligen Geist erfüllt werdest. Und sogleich fiel es von seinen Augen wie Schuppen, und er wurde wieder sehend; und er stand auf, ließ sich taufen und nahm Speise zu sich und stärkte sich... Und alsbald predigte er in den Synagogen von Jesus, dass dieser Gottes Sohn sei.

(Anmerkung: diese Predigt nimmt Bezug auf Lieder, die während des Gottesdienstes gesungen wurden)


Ja wo ist er denn?


Die Gnade unseres Herrn und Bruders Jesu Christi und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen, Amen.


Liebe Schwestern und Brüder, liebe Gottesdienstgemeinde,

ja wo ist er denn, wenn man ihn mal braucht... Scheint derzeit unterwegs zu sein, unser Gott. Jedenfalls ist zwischenzeitlich in der Ukraine ein Krieg ausgebrochen, riesige Waldflächen brennen, Kinder sterben vor Hunger, Menschen fragen verzweifelt: wie bezahle ich meine Stromrechnung? Ja wo ist er denn. Wäre ich kein Pfarrer, würde ich einen Pfarrer fragen. Aber wen fragt denn ein Pfarrer! Vielleicht den Chef persönlich, den Höchsten? Würde ich ja tun, aber wo ist er denn, wenn man ihn mal braucht? Gott ist gegenwärtig singt Joachim Neander. Wenn ich hier nach vorne schaue, seid ihr mir gegenwärtig, doch keine Spur von Gott. Wo ist er...

Ja wo ist er denn, unser Pfarrer? Bewerbungsgespräch. Der Kandidat: Jung, dynamisch, gebildet, mit schier unendlichen Kraftreserven, selbstbewusst, beste Zeugnisse und Referenzen. Im Gemeindekirchenrat herrscht ungewohnte Einigkeit: Dieser Bewerber soll es werden. Was niemand weiß: er ist etwas fanatisch. Sein Name Saulus von Tarsus. Mit Drohen und Morden schnaubte er dereinst gegen die Gemeinde. Ja schade aber auch, wenn solche Details erst nach der Einstellung ans Licht kommen. Der Mensch kann nun mal nicht in die Zukunft blicken.

Ja wo ist sie denn, die planbare Zukunft? Es hilft alles planen nichts, vieles bleibt ungewiss. Umstände ändern sich. Menschen ändern sich. Pläne ändern sich. Auch meine. Nie und nimmer hätte ich gedacht, eines Tages Pfarrer in Staaken zu werden, wusste ich noch vor wenigen Jahren gar nichts von der Existenz dieses Fleckens Erde. Und sollte ich wirklich hier Pfarrer werden? Ach, wäre doch der Herr selbst mir erschienen auf dem Weg nach Staaken.


Unerwartete Erscheinungen


Stattdessen erscheint mir...

...der Vorsitzende des Gemeindekirchenrats. Sicher nicht ganz so beeindruckend wie der da oben, aber dennoch wichtig für meine Entscheidung...

...die ehemalige Geschäftsführerin. Ich bin nicht erblindet nach den Begegnungen mit ihr, aber doch ein wenig erleuchtet...

...die Kolleginnen und Kollegen in der Gemeinde und im Kirchenkreis. Sie lösten freilich keine Bekehrung in mir aus, die jeden Zweifel vertrieb und dennoch: jeder freundliche Kontakt rief mich als ein auserwähltes Werkzeug nach Spandau...

...dann die Menschen im Gemeindekirchenrat. Freundlich fordernd und fördernd, fröhlich einladend: predige bei uns, sei unser Pfarrer...

...die Mitarbeitenden, die übrigen Gemeindeglieder, groß und klein, alt und jung, Anhängerinnen dieses Jesus von Nazareth. Alle mit ihrem eigenen, ganz besonderen Schicksal und ihrer eigenen Art und Weiße zu leben und zu lieben. Steter Tropfen höhlt den Stein.

Ja wo ist er denn, unser Pfarrer? Die Kandidaten sind gegangen. Der GKR berät. Da wagt jemand ein Veto: „Diesen Bewerber können wir nicht nehmen. Er ist zu radikal.“ Jemand hat Informationen über Paulus geleakt. „Wer radikal war, bleibt radikal – selbst wenn er seine Weltanschauung ändert!“ Dann vielleicht doch besser jemanden, der ein etwas ausgewogeneres Gemüt hat? „Wir haben hier noch eine Bewerbung. Dieser Pfarrer war mal Betriebswirt. Das kann nicht schaden.“ „Mal seinen Namen googlen.“ Au weia. Google ist zwar nicht Gott, kommt aber mit seiner Quasi-Allwissenheit schon sehr nahe dran. „Sieh an, sieh an: Hipsterpfarrer, Priestofberlin, Technogottesdienst, Schlagergottesdienst, Tiersegnung, das ist ja allerhand!“ Stirnrunzeln bei den Einen, helle Begeisterung bei den Anderen. Bedenken werden schnell beseitigt.


Eine Stimme, die ruft


Wie mit einer Stimme ruft die Gemeinde nach dem neuen Pfarrer und er – er folgt dem Ruf. Ist irgendwie vieles wie bei Saulus dem Paulus bei ihm. Große Veränderungen. Von der Wirtschaft in die Kirche, aus einer extremen Frömmigkeit in eine ausgewogene Geistlichkeit. Nun will ich mich nicht mit Paulus vergleichen, Gott bewahre. Denn des Paulus Los hatte eine Last: Gott zeigte ihm, wie viel er leiden musste um seines Namens willen. O Gott. Ein böses Omen? Werde ich in Staaken leiden? Leiden gewiss, doch sicher nicht wegen Staaken. Leiden. Um seiner selbst willen. Und wie so oft ohne erkennbaren Sinn. Mein Dienst in dieser Gemeinde ist von Leiden geerdet und flankiert. Unsere Familie hat ein mieses Schicksal ereilt. Eine schwere Probe an meine Kräfte und meinen Glauben. Eine besondere Lebensschule, die besondere Fähigkeiten schafft. Auf diesen Unterricht hätte ich gerne verzichtet. Und doch. Und doch muss gelten: Wenn wir das Gute aus Gottes Hand empfangen haben, warum sollten wir nicht auch das Böse empfangen? Dein Reich komme. Dein Wille geschehe. Gott hat gegeben, Gott hat genommen. Gott, was ist das eigentlich und ich frage: wo?


Gott ist da


Ja wo ist er denn, dieser Gott. Das, womit ich hauptberuflich zu tun habe. Als Profi sozusagen. Mit dem Wort Gott ist alles, wirklich alles – und doch nichts gesagt. Über Gott reden und doch über sich selbst. Nichts tue ich lieber. Joachim Neander ersetzt und übersetzt diese vier Buchstaben in andere: Luft, die alles füllet. Luft. Ganz unbestritten da, um uns und in uns. Aller Dinge Grund und Leben. Eben! Nichts ist ohne Grund, überall blüht gründlich das Leben. Meer ohn Grund und Ende oder letzten Endes etwas universeller: Universum ohn Anfang und Ende. Unbegreiflich und doch da, in uns und um uns.

Wenn ich hier nach vorne schaue, sehe ich nur euch. Und doch fällt es mir wie Schuppen von den Augen: ich kann Gott nicht anders sehen als durch und in euch. Und ihr durch mich und in mir. Ganz gegenwärtig, manchmal direkt vor Augen. Und doch seltsam verborgen. Gott kommt in euch wohnen. Gott ist gegenwärtig. Gott ist da. Christus ist da. Und siehe da, ich hör’ die Schuppen von den Augen fallen: der Wochenspruch, er klingt noch nach. „Wer euch hört, der hört mich; und wer euch verachtet, der verachtet mich.“ Gott ist nicht fern von einem jeden von uns und einer jeden. Vielleicht näher als wir denken, wenn wir dem Vertrauen schenken. Dem, was für uns gilt, so er spricht: Siehe, ich bin bei euch, bis an der Welt Ende.


Der Welt Ende

Liebe Gemeinde, hier an der Welt Ende. Erlaubt mir als Berliner das mit einem liebevollen Augenzwinkern zu sagen. Hier ist der Ort. Jetzt ist die Zeit. Ich bin der Mensch. Wir sind uns wechselseitig anvertraut. In den nächsten Jahren wird es jede Menge Arbeit geben. Die Gemeinde wird sich verändern. Bei allem, was kommt möchte ich als euer Pfarrer eines nicht vergessen: Gott, der hier in Staaken gegenwärtig ist. Mit euch gemeinsam will ich auf die Suche gehen im Glauben daran, dass Gott sich finden lässt. Mal in und mal trotz der Predigt. Mal im und trotz des Nachbarn, mal im Chaos und mal in der Stille.


Und der Friede Gottes, der höher ist als alle menschliche Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus, Amen.

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