Zwischen Passalamm und Auferstehung - Warum die Evangelien unterschiedliche Zeitangaben zur Passion Jesu machen – und was sie bedeuten
- vw1575
- vor 6 Tagen
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Immer wieder stoßen Menschen, die sich intensiver mit den Passionsberichten der Evangelien beschäftigen, auf irritierende Unterschiede.
War das letzte Abendmahl nun ein Passamahl – oder nicht? Stirbt Jesus vor dem Passafest oder währenddessen? Was meint er, wenn er sagt, er werde „drei Tage und drei Nächte im Grab“ sein – obwohl er am dritten Tag aufersteht? Und was ist eigentlich ein „großer Sabbat“?
Dieser Beitrag versucht, Klarheit zu schaffen – mit Blick auf das jüdische Kalendersystem, die Theologie der Evangelien und die tiefere Bedeutung der Zeitangaben rund um Kreuz und Auferstehung.
Der jüdische Kalender: Tage beginnen bei Sonnenuntergang
Ein zentrales Missverständnis lässt sich leicht ausräumen:
Im antiken Judentum beginnt der Tag nicht um Mitternacht, sondern mit Sonnenuntergang.
Das heißt:
Der Freitag beginnt am Donnerstagabend,
der Sabbat beginnt am Freitagabend,
und das Passafest beginnt am Abend des 14. Nisan, wenn die Sonne untergeht.
Diese Zählweise ist wichtig, um die Passion Jesu überhaupt richtig einordnen zu können – denn sonst erscheinen viele Aussagen widersprüchlich.
Jesus als Passalamm: Der johanneische Akzent
Das Johannesevangelium hat eine klare theologische Linie:
Jesus stirbt nicht nach dem Passamahl, sondern genau in dem Moment, in dem im Tempel die Passalämmer geschlachtet werden – also am Nachmittag des 14. Nisan.
Johannes 19,14: „Es war Rüsttag des Passafestes, um die sechste Stunde.“
Der „Rüsttag“ ist der Tag vor dem Sabbat, also der Freitag – und zugleich der Tag, an dem die Lämmer für das Passafest geschlachtet werden.
Jesus stirbt demnach vor Beginn des Passamahls, das am Abend beginnt.
Das macht theologisch Sinn:
Johannes präsentiert Jesus als das wahre Passalamm.
Sein Blut, nicht das eines Tieres, bringt die wahre Erlösung.
„Siehe, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt trägt.“ (Joh 1,29)

Die Synoptiker: Jesus feiert das Passa mit seinen Jüngern
Die drei ersten Evangelien (Markus, Matthäus, Lukas) berichten etwas anders:
• Jesus isst mit seinen Jüngern das Passamahl
• Danach wird er verhaftet, verurteilt und gekreuzigt
• Das heißt: Jesus stirbt nach dem Passamahl, also am 15. Nisan
Hier liegt der Akzent nicht auf der Parallele zur Passalamm-Schlachtung, sondern auf der Einbindung Jesu in die jüdische Festtradition:
Jesus feiert das Passa – und setzt es neu.
Aus dem Mahl wird ein Symbol für seinen Tod: „Das ist mein Leib… das ist mein Blut…“
Der „große Sabbat“ – was war das?
Johannes spricht von einem „großen Sabbat“ (Joh 19,31), an dem die Leichname nicht am Kreuz hängen bleiben sollten. Warum groß?
Weil der 15. Nisan, der erste Tag des Passafestes, ein besonderer Ruhetag ist (vgl. Lev 23,7).
Wenn dieser Festtag auf einen Samstag fällt – wie es Johannes nahelegt –, ergibt sich ein besonders heiliger Doppel-Sabbat. Ein großer Sabbat eben.
Drei Tage und drei Nächte?
In Matthäus 12,40 sagt Jesus:
„Wie Jona drei Tage und drei Nächte im Bauch des Fisches war, so wird der Menschensohn drei Tage und drei Nächte im Herzen der Erde sein.“
Und doch betonen alle Evangelien, dass Jesus am dritten Tag aufersteht. Wie passt das zusammen?
Im jüdischen Denken zählt jeder angebrochene Tag als voller Tag und Nacht:
• Freitag (Tod) = Tag 1
• Samstag (Grab) = Tag 2
• Sonntag (Auferstehung) = Tag 3
Die Formulierung „drei Tage und drei Nächte“ ist eine typologische Redeweise, kein mathematischer Ausdruck. Es geht um die symbolische Parallele zu Jona, nicht um eine wörtlich präzise Zeitangabe.
Zwei Zeitlinien im Vergleich
Die folgende Übersicht zeigt die unterschiedliche Chronologie bei Johannes und den Synoptikern:

Beide Linien führen zur Auferstehung am Sonntag, aber mit unterschiedlicher theologischer Aussagekraft:
• Johannes: Jesus ist das Passalamm
• Synoptiker: Jesus feiert das Passa neu mit seinen Jüngern
Fazit: Theologie statt Widerspruch
Die Unterschiede in der Passionschronologie sind kein Zeichen von Verwirrung, sondern zeigen, dass die Evangelien verschiedene theologische Perspektiven entfalten:
• Johannes denkt symbolisch und sieht in Jesus die Erfüllung der Schrift, das neue Lamm Gottes.
• Die Synoptiker erzählen stärker aus der Lebenswelt der Jünger – eingebunden ins jüdische Festgeschehen.
• Die jüdische Zeitrechnung (Tage beginnen am Abend) erklärt scheinbare Widersprüche bei der Dauer von Jesu Grabesruhe.
Wer also die Zeitangaben rund um Karfreitag und Ostern verstehen will, muss nicht nur genau hinschauen – sondern auch zwischen historischer Chronologie und theologischer Deutung unterscheiden.
Und genau darin liegt die eigentliche Tiefe der Passionsgeschichte.
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