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Lot und seine Töchter - eine der verstörendsten Bibelgeschichten

  • vw1575
  • 10. Apr.
  • 2 Min. Lesezeit

Die Geschichte von Lot endet nicht mit der dramatischen Flucht aus Sodom, sondern führt in eine noch erschütterndere Richtung: In Genesis 19,30–38 wird berichtet, dass Lots Töchter ihn betrunken machen, um mit ihm Nachkommen zu zeugen. Die daraus entstandenen Kinder heißen Moab und Ben-Ammi – sie gelten als Stammväter der Moabiter und Ammoniter, zweier Nachbarvölker Israels.


Der Text


Nach dem Untergang Sodoms zieht Lot mit seinen beiden Töchtern in eine Höhle im Gebirge. Dort sagt die ältere Tochter zur jüngeren:


"Unser Vater ist alt, und es ist kein Mann mehr im Land, der zu uns kommen könnte nach der Weise aller Welt. Komm, wir wollen unseren Vater Wein trinken lassen und bei ihm liegen, damit wir von unserem Vater Nachkommen erhalten."



Beide Töchter schlafen nacheinander mit ihrem Vater, jeweils unter dem Einfluss von Wein. Der Text betont, dass Lot nichts davon bemerkt. Die Szene ist unangenehm, grenzverletzend und schockierend. Doch sie ist erzählt mit einem bestimmten Ziel.


Rassistische Abwertung durch Erzählung


Diese Erzählung ist kein neutraler Bericht über menschliches Fehlverhalten. Sie ist ein spät entstandenes, literarisch durchdachtes Narrativ, das die Entstehung zweier verhasster Nachbarvölker Israels mit einem skandalösen Ursprung versieht. Dass Moab und Ammon aus Inzest entstanden seien, dient der kulturellen und politischen Abwertung dieser Völker. Es ist, mit heutigen Worten, ein rassistisches Motiv: Die Anderen werden genealogisch als minderwertig und moralisch entartet dargestellt.


Was hier als biblische Ursprungserzählung verpackt ist, ist in Wirklichkeit eine ideologische Konstruktion. Man verunglimpft die Herkunft eines Volkes, um seine politische und religiöse Marginalisierung zu rechtfertigen.


Theologische und literarische Analyse


1. Lot als gebrochene Figur: Der Mann, der aus Sodom gerettet wurde, endet betrunken und ohne Kontrolle über sich selbst. Er verliert am Ende nicht nur seine Stadt und seine Frau, sondern auch seine Würde.


2. Die Töchter als Überlebende: Sie handeln aus Angst, aber auch aus Entschlossenheit. In einer patriarchalen Gesellschaft, in der ihr Wert über Nachkommen definiert wird, nehmen sie ihr Schicksal in die Hand – wenn auch auf eine tragische Weise. Der Text verurteilt sie nicht explizit, aber stellt sie auch nicht als Heldinnen dar.


3. Die eigentliche Absicht: Die Verbindung von Inzest und Völkerabstammung ist kein Zufall. Der Text will Moabiter und Ammoniter dauerhaft diskreditieren. Es handelt sich um eine erzählte Ausgrenzung.


Fazit


Genesis 19,30–38 ist keine moralische Belehrung, sondern ein politischer Text mit ideologischer Schlagseite. Die Abwertung der Nachbarvölker durch eine absichtlich schockierende Ursprungserzählung zeigt, wie die Bibel auch als Instrument der kollektiven Abgrenzung funktionieren kann. Es ist wichtig, diesen Mechanismus zu erkennen und kritisch zu benennen: Nicht jede biblische Erzählung ist unschuldig. Manche sind Spiegel historischer Feindschaft und kultureller Überheblichkeit.

 
 
 

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